3. Dezember 2002 – 5. Jänner 2003 „Wasser und Bergwelt“ Bildwerke von Markus Getzner



Der Gewinner des 2. KFM-Wettbewerbes, Markus Getzner löst mit dieser Ausstellung das ein, was sich die Jury auf Grund seiner Einreichung versprochen hat (siehe Wettbewerbsausstellung). Für das Raumkonzept, das neben einer schlüssigen und strengen Anordnung der Bildwerke und Vitrinen durch Türverkleidungen, Sitzbänke, Papiervorhänge und Textzitate von F. Bertel überzeugt, zeichnet Peppi Hanser verantwortlich. Die Vernissagerede hielt Prof. Franz Bertel, hier ein Auszug (die vollständige Rede kann unter info@kfm.at bestellt werden):


Auf dieser zweifachen oder mehrfachen Wertigkeit, der Ambi – und der Polyvalenz, beruht die Vielfalt der Konzepte der Preisträger und weiterer hervorragender, von der Jury ausgewählter Arbeiten aus dem Wettbewerb, eine Vielfalt, die so nicht zu übersehen ist, dass ich mich gezwungen sehe, Ambi – und Polyvalenz an einigen Beispielen aufzuzeigen. Ich beginne mit dem Beispiel Hand:
Ich zitiere zunächst aus Midrasch, der alten rabbinischen Schriftauslegung:
„Wenn der Mensch geboren wird, hat er die Hände zusammengeballt, als wollte er sagen: Ich erobere die Welt. Wenn er stirbt, sind seine Hände leer ausgestreckt, als wolle er sagen: Ich habe nichts zurückbehalten, alles gehört Dir, o Gott.“ ...)
In der Apsis der Kapelle auf dem Monte Tamaro ist ein bedeutungsvolles Fresko von Enzo Cucchi zu sehen. Es zeigt ein Paar von Händen: die sind offen: bereit aufzunehmen – offen: bereit darzureichen, zu geben. Sie sind beides zugleich: passiv und aktiv – also medial – d.h. vermittelnd wie die Wörter der alten Sprachen es waren, bevor die Verben in aktiv und passiv zerfielen und Wirklichkeit eins war als Mit-teilung und Teil-nahme. (...)
Und hier in Schruns fand ich im frühen Juli dieses Jahres auf einer mehrschichtigen Zeichnung zwei Hände, die hielten eine ganze Bergwelt, präsentierten sie – schau dir das an – und von den Bergen rannen Wasser herab in Rinnen und Halden in die Mulden und Senken, lösten sich auf und tropften ab wie Tränen, und in den Händen, die sie halten wollten, zerrannen sie zwischen den Fingern. Höhe und Tiefe, Vertikale und Horizontale, die Passivität der Berge und die Aktivität des Wassers, das Erhabene und die Senken, das Beständige und das Zerfließen, das Heben und das Senken, das Haben und das Sein, das Festhalten und Speichern in Gletschern und Seen und das Zerrinnen – immer ein Ganzes.(...)
„Das Beste ist das Wasser“, fängt Pindars erste olympische Ode an.
War Pindar Weinhändler bei denen die Neigungen zu solchen Superlativen ja verständlich und begreiflich sind? Gibt es nicht auch ganz anderen Neigungen, aus denen ganz andere Superlative hörbar werden?
„Sei gepriesen, mein Herr, durch unsere Schwester, das Wasser“ lese ich im Sonnengesang, diesem großen Hymnus des Francesco Poverello, „nützlich ist es sehr, voll Demut, köstlich und keusch.“ Lobten das Wasser so auch Lebewesen, die keinen Platz fanden in der Arche des Noah als die Wasser stiegen?(...)
Diese ungeheuerliche Masse molekularer Verbindung von Wasserstoff und
Sauerstoff macht Leben erst möglich: vereint mit der Wärme, der Kraft der strahlenden Sonne hoch oben, bildet es die Grundlage allen Lebens. Ist Inbegriff des Lebens schlechthin.
Deshalb ist bei Hildegard von Bingen, dieser Klosterfrau, die noch so viel des alten Wissens und Heilens in sich vereinigte, immer wieder die Rede von der viriditas – der Grünkraft der Sonne – und der humiditas – der Feuchtigkeit des Wassers – von zwei Kräften, also auch der Kraft der Sonne, die alles grünen lässt, steigen und fallen lässt, und der Wasserkraft, die alles dreht und wendet. Et – et, sowohl als auch.(...)
„Auf eins hin zusammensehen, sollten wir lernen.“ (Platon)
Auf diesen elementaren Zusammenhang, dieses Zusammenwirken von Höhe und Tiefe, verweist auch das Objekt, dem der 1. Preis zugesprochen wurde. Das Objekt ist ein kleiner schachtelförmiger, umgrenzter Raum. In seine Leere hängen mehrschichtige flächige Zeichnungen. Ihnen beigegeben ist ein bergartiges Gebilde, das golden glänzt und reicht in die Höhe, verbindend so plastisches Volumen mit der Leere des Raumes; zwei Erscheinungsformen des Dreidimensionalen: ein Ganzes.
Das Ganze in seiner Gegensätzlichkeit: das Wasser – Inbegriff des Lebendigen – und die Bergwelt: begreiflich, erstarrt, fest, hart – Inbegriff des Festen, Unwandelbaren, Starren, Starken, des Bestehenden, der unerschütterlichen Beständigkeit; massiv, trocken, vertrocknet und alt geworden: brüchig, zerbrechlich, zerbrochen an der Härte und Starrheit – wie die Skelette, Gerippe, Schädel und Knochen von Menschen als Überreste zerbrechlicher Wesen.
Verankert in der Tiefe lasten die Berge auf dem Boden, schroff ragen sie auf zum Himmel, zum Licht, ruhen in sich, schweigend, bergen etwas in sich, etwas Verborgenes, Verschlossenes, Unbekanntes, Geheimnisvolles, das manchmal ans Licht kommt wie, schlussendlich, die Wahrheit.
Deshalb nannten die Griechen das Finden von etwas Wahrem: das Entbergen des Verborgenen: „Drei Tonnen taubes Gestein und drei Gramm Uran“, schrieb einer, der es wusste, ein Literat, Wladimir Majakowskij, mit Namen. (...)
Die Bildwerke, über die ich direkt und indirekt gesprochen habe, sind Versuche, einem sehr komplexen Ganzen auf den Grund zu gehen. Sie enthalten nur Aussagen ganz allgemeiner Art. Fern der Egomanie und dem Eurozentrismus sind es sachliche Aufzeichnungen elementarer Sachverhalte.
(Franz Bertel, Dezember 2002)